- französische Kolonien: Das erste französische Kolonialreich
- französische Kolonien: Das erste französische KolonialreichNova Gallia in der Neuen WeltErst relativ spät ist Frankreich in den Kreis der europäischen Entdeckermächte getreten. Der Grund lag in innenpolitischen Auseinandersetzungen und in der habsburgischen »Umklammerung«, die das französische Königreich in Europa beschäftigten und seine expansiven Kräfte banden. Die portugiesisch-spanischen Entdeckungen blieben indessen in Frankreich nicht unbemerkt, namentlich als durch Piraterie Aztekenschätze, die Hernán Cortés an Kaiser Karl V. gesandt hatte, in die Hände des französischen Königs Franz I. fielen. Aber die Franzosen suchten doch, den Spaniern aus dem Weg zu gehen und etwa den Zugang nach Asien über bis dahin noch unerschlossene Räume zu finden. Unter diesen Bedingungen sowie aufgrund günstiger Wind- und Strömungsverhältnisse im Nordatlantik ergab sich die Stoßrichtung auf den nördlichen Teil des amerikanischen Kontinents, also jenen Teil Nordamerikas, der anfangs Nova Gallia (Neugallien), aber schon bald Nouvelle-France (Neufrankreich) beziehungsweise Kanada — ein irokesisches Wort für Dorf oder Gemeinschaft — genannt werden sollte.Bestimmt wurde das französische Vorgehen zunächst eindeutig von Wirtschafts- und Handelsinteressen. So standen hinter dem ersten von der Krone genehmigten Unternehmen des Florentiners Giovanni da Verrazano, der die amerikanische Ostküste entlang- und als erster Europäer 1523/24 in die Bucht von New York einfuhr, italienisches Handelskapital aus Lyon und französische Reedereiinteressen. Aufgrund der von Verrazano ausgelösten spanischen Aktivitäten an der nordamerikanischen Küste richtete Frankreich sein Augenmerk auf die nördlichsten Gebiete um den Sankt-Lorenz-Golf. Ihn und seine Anrainerküsten erschloss der erste große französische Entdecker in Nordamerika, Jacques Cartier. Mit seinem Vordringen in den Sankt-Lorenz-Strom hinein bis auf die Höhe des heutigen Montreal fiel die riesige Querachse des nordamerikanischen Kontinents in die französische Interessensphäre. Das nordamerikanische System der Wasserwege mit den Großen Seen als Drehscheibe und dem Weg über den Mississippi hinab bis zum Golf von Mexiko bot günstige Voraussetzungen für die Etablierung eines künftigen französischen Nordamerika; und so sollte dieses riesige Wasserstraßensystem regelrecht die Entdeckung und Erschließung des nordamerikanischen Kontinents lenken.Auf seiner ersten Reise betrat Cartier nach zwanzigtägiger Fahrt am 24. Juli 1534 in der Bucht von Gaspé, südöstlich der Mündung des Sankt-Lorenz-Stroms, nordamerikanisches Festland. Zum Zeichen der Besitznahme ließ er ein großes hölzernes Kreuz aufrichten, an dem ein Schild mit den drei Lilien der Bourbonen und der Aufschrift »Es lebe der König von Frankreich« angebracht war. Das gegenüberliegende Land, Labrador, an dem er in Fortsetzung seiner Fahrt entlangsegelte, taufte er Terre de Caïn (Land des Kain). Auf seiner zweiten Reise im Jahre 1535 erforschte Cartier den Sankt-Lorenz-Strom bis zum Ottawa River, wobei er und seine Leute erkannten, wie wichtig freundschaftliche Kontakte zu den Indianern waren; denn nur durch die Heilkenntnisse der ihnen freundlich begegnenden »Eingeborenen« vermochten sie den Skorbut sowie den harten Winter zu überleben. Berichte von einem sagenhaften Reich Saguenay bestimmten die dritte Reise 1541, während der auch erstmals eine Siedlung angelegt wurde. Dieser Kolonisierungsversuch scheiterte allerdings ebenso, wie sich die Hoffnungen auf ein Land reich an Gold und Edelsteinen als Trugbild erwiesen.Cartiers Reisen blieben nicht nur weitgehend erfolglos, ihnen folgten vorerst auch keine weiteren Unternehmungen Frankreichs. Die Ernüchterung über das nördliche Amerika teilten die Franzosen mit Engländern, Holländern und Schweden. Vorübergehend wandten sie daher ihre Aufmerksamkeit dem Golf von Mexiko zu. Die Versuche in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, sich in der Bucht von Rio de Janeiro, in Florida sowie in Maranhão an der Nordküste Brasiliens zu etablieren, scheiterten indessen allesamt am Widerstand der Portugiesen oder Spanier. Erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als die bis dahin vorherrschenden Motive, nämlich die Suche nach der Nordwestpassage und der Indienhandel, zugunsten anderer zurücktraten, änderte sich die Situation. Mit dem neuen Interesse am Pelzhandel gingen die Franzosen zu einer expansiven Politik und nunmehr zielstrebigen Erschließung Neufrankreichs über.Champlain, der »Vater Kanadas«Derjenige, der die Pläne Jacques Cartiers wieder aufnahm und fortsetzte, war Samuel de Champlain, oft als »Vater Kanadas« apostrophiert. Am 3. Juli 1608 gründete der erste erfolgreiche französische Kolonialpionier Quebec — das Wort stammt aus dem Indianischen und bedeutet Flussenge —, das künftige Zentrum der neuen Kolonie, Handelsplatz für den Verkehr mit den Indianern und Ausgangspunkt ihrer Evangelisierung. Von dort aus erfolgte die systematische Erkundung des Gebiets zwischen dem Sankt-Lorenz-Golf und den Großen Seen sowie die Besiedlung entlang des Sankt-Lorenz-Stroms. Champlain, der 1627 von Kardinal Richelieu zum ersten Gouverneur der nunmehr Nouvelle-France genannten Kolonie bestellt wurde, zeichnete auch die typische Vorgehensweise der Franzosen auf dem nordamerikanischen Kontinent vor: Er suchte überall freundschaftliche Beziehungen zu den Indianern herzustellen und beteiligte schon bald die Missionare an der Erschließung und Entwicklung des Landes. Nebenbei trugen die Missionsberichte maßgeblich zu dem in Europa im Zeichen von Aufklärung, Philanthropismus und Kulturkritik entstehenden Bild vom »edlen Wilden« (bon sauvage) bei.Bereits während seiner ersten Reise nach Kanada 1603 hatte Champlain mit einigen Indianerstämmen, namentlich den Montagnais und den Algonkin, militärische Hilfsverträge im Hinblick auf deren Auseinandersetzungen mit dem mächtigen Bund der Irokesen abgeschlossen. Der Plan, sich gegenüber allen Stämmen neutral zu verhalten — Champlain hatte versucht, mit den Irokesen ebenfalls einen Friedensvertrag abzuschließen —, musste indes fallen gelassen werden, da ein solcher Entschluss ständige Übergriffe der Huronen, Algonkin und Montagnais herausgefordert hätte, auf die die Franzosen aber angewiesen waren. Champlain erhoffte sich von seiner Parteinahme somit zugleich Schutz für seine Kleinstkolonien, die ohne den friedlichen Verkehr mit den Indianern die ersten Jahre kaum überlebt hätten.Die wenigen Franzosen waren auf die Zusammenarbeit mit den Indianern angewiesen: Sie profitierten nicht nur von deren Kenntnis der Wälder, der Wasserwege und der Gewohnheiten der Biber, sondern erlernten ebenso Techniken, wie beispielsweise die Herstellung und Nutzung von Schneeschuhen und Birkenrindenkanus, die ihnen zu überleben halfen. Diese konkreten Umstände haben die gegenüber der spanischen und portugiesischen Conquista vergleichsweise humanen Kolonial- und Missionsstrategien in Neufrankreich bestimmt. Auch sollte keine Siedlung im großen Stil den Indianern ihr Land fortnehmen. Schließlich waren die Franzosen schon aufgrund ihrer geringen Zahl an der Aufnahme und Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen interessiert. Champlains positives Indianerbild dürfte daher in der Notwendigkeit zum friedlichen Handelsaustausch seine tiefere Ursache gehabt haben. Nichtsdestoweniger löste die französische Kolonisation einen tief reichenden sozialökonomischen und kulturellen Wandel in den indianischen Gesellschaften aus.»Pelze und Seelen«Während der im nordwestlichen Atlantik saisonal von den Europäern betriebene Fischfang auch für die Franzosen vorerst das einzige konkrete Ergebnis ihres Expansionismus war, rückten seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert Pelze an die Spitze der Kolonialexporte Frankreichs. Der Pelzhandel bestimmte schließlich die ökonomische Zukunft der Kolonie. Der Biber war in Europa immer seltener geworden, wobei die Nachfrage nicht dem eigentlichen Fell galt, sondern der Pelzwolle, die als Filzbesatz für Kleider und für Hüte diente — Letztere anstelle der Wollmütze der niederen Klassen Prestigezeichen der gehobenen Schichten. Anfang des 17. Jahrhunderts erhielten die Franzosen von ihren indianischen Handelspartnern bereits jedes Jahr etwa 10000 Biberfelle, seit den 1630er-Jahren etwa 15000, hundert Jahre später betrug der jährliche Export gar über 100000 Felle. Während die Franzosen den Indianern Metallwaren, Stoffprodukte sowie Feuerwaffen und Alkohol zum Tausch anboten, brachten ihnen die eingehandelten Pelze in Europa etwa das Zehnfache an Wert.Mittelpunkt und Drehscheibe des indianisch-französischen Pelzhandels war ursprünglich das Gebiet der Huronen. Die etwa 20000 bis 30000 irokesischsprachigen Huronen — eine Ableitung von dem französischen hure, das wild, brutal bedeutet; sie selbst nannten sich Ouendat — lebten in einem relativ kleinen, dicht besiedelten Gebiet an der Georgian Bay des Huronsees im heutigen Ontario. Aufgrund ihrer Lage waren sie zu Hauptprofiteuren des innerindianischen Handels und zu den wichtigsten Zwischenhändlern zwischen den einheimischen Pelzjägern und den Europäern geworden. Der Kampf um die Handelsrechte mit den Europäern hat allerdings bestehende innere Spannungen zwischen den indianischen »Nationen« verschärft — Handel und Krieg waren wesentliche Aspekte der Stammesbeziehungen vor der Ankunft der Europäer — und zu einem dauernden Konkurrenz- und Kriegszustand geführt, der durch die Erschöpfung der Pelztierreservate und die Erschließung weiterer Pelztiergründe neue Dimensionen gewann.Der anfängliche Bekehrungserfolg bei den in Familienverbänden und in Ortschaften mit festen Holzhäusern, Langhäusern, siedelnden Huronen schien dem Optimismus der Missionare Recht zu geben, zumal die Jesuiten, die quasi eine Monopolstellung im religiösen Leben der Kolonie und bei der Missionierung einnahmen, in einer äußerst behutsamen Weise vorgingen. Sie lernten die Indianersprache und passten sich, was die Lebensweise betraf, an die Indianer an. Auch zeichneten sie ein insgesamt positives Bild von ihnen, sprachen ihnen die Zugehörigkeit zum »Geschlecht Adams« nie ab und bemühten sich, die neuen Völker in das Schema der christlichen Heilsgeschichte einzuordnen. Obgleich sie die in ihren Augen negativen Eigenschaften wie Vielweiberei, »Fresslust«, Grausamkeit gegenüber Kriegsgefangenen oder Kannibalismus nicht übersahen, hielten sie die Indianer doch aufgrund ihrer charakterlichen sowie intellektuellen Eigenschaften und aufgrund der Annahme, diese besäßen keine eigentliche Religion, geradezu für die Bekehrung vorherbestimmt.Bald zeigte sich jedoch, dass die Missionserfolge äußerlich blieben, zu stagnieren begannen und schließlich in eine ausgesprochene Krise gerieten. Der Grund lag in der Tatsache, dass die Indianer die durch die Missionare verursachte »kulturelle Revolution« nicht einfach hinnahmen und keineswegs widerstandslos zu den gewünschten Abbildern einer »französischen« Kultur und eines »europäischen« Christentums werden wollten. Einige wenige übernahmen möglicherweise den christlichen Glauben in seiner europäischen Ausprägung, andere inkorporierten sicherlich christliche Elemente — so insbesondere den Marienkult — in ihr traditionelles religiöses Weltbild. Die meisten eingeborenen Amerikaner beharrten jedoch auf ihrem Glauben und lehnten das Christentum ab.Die größte Gefahr ging ohnehin inzwischen von den Irokesen aus, die in den Jahren zwischen 1640 und 1684 ihren Pelzhandel ausweiten wollten — möglicherweise zunächst im Bündnis mit den Huronen —, schließlich aber versuchten, durch Ausschaltung und »Vernichtung« der westlichen Indianerstämme — das sind die Huronen, »Tabakleute« (Petun), Neutralen, Erie, Susquehannock — oder durch deren Adoption in den eigenen Verband den nordwestlichen Pelzhandel vom Sankt-Lorenz-Strom in ihre Gebiete umzuleiten. Die Huronen, die durch ihre festen Ansiedlungen feindlichen Angriffen noch mehr ausgeliefert waren, wurden schließlich 1648/49 von den taktisch überlegen operierenden Irokesen, die zudem durch die Engländer und Holländer besser mit Feuerwaffen ausgestattet waren, vernichtet und aus ihrer Heimat vertrieben oder in die irokesischen Dorfgemeinschaften integriert.Die IndienkompanienTrotz des lukrativen Pelzhandels wuchs die Kolonie Neufrankreich nur sehr langsam. Den verschiedenen Handelskompanien wie der 1613 gegründeten Compagnie du Canada und der unter Richelieu etablierten Compagnie de la Nouvelle-France — zwischen 1599 und 1663 sind mindestens 36 solcher Unternehmen in Frankreich gegründet worden — gelang es nicht, eine nennenswerte Anzahl von Siedlern nach Kanada zu locken. Zwischen 1628 und 1632 ging die Kolonie am Sankt-Lorenz-Strom sogar an die Engländer verloren. Um 1660 lebten wenig mehr als 3000 Franzosen in Neufrankreich, zu einem Zeitpunkt, als die Kolonien Neuenglands bereits eine zehnmal größere Bevölkerung aufwiesen. Die Alternative lautete, die zeitweilig nur durch die Jesuitenmission am Leben erhaltene Kolonie aufzugeben oder sie intensiv durch das Mutterland zu fördern.1663 fiel, nicht zuletzt aus dynastischen Prestigegründen der Bourbonen, die Entscheidung zugunsten der letzteren Lösung. Führender Kopf des nunmehr einsetzenden kolonialstaatlichen Verwaltungsaufbaus und der kolonialwirtschaftlichen Erschließung war der Generalkontrolleur der Finanzen, Jean-Baptiste Colbert, der im Zuge der absolutistisch-merkantilistischen Politik des Zeitalters für eine Belebung der Wirtschaft, den Aufbau einer mächtigen Flotte und den Ausbau des Kolonialreiches eintrat. Wichtigste Instrumente sollten zwei 1664 gegründete, privilegierte Handelsgesellschaften sein, die Westindische Kompanie (Compagnie des Indes Occidentales) und die Ostindische Kompanie (Compagnie des Indes Orientales).Das der Ostindischen Kompanie verliehene Monopol erstreckte sich auf die gesamte östliche Erdhälfte mit den Schwerpunkten Madagaskar und Indien. Auf Madagaskar war schon 1643 unter Richelieu ein Fort errichtet und eine Ansiedlung gegründet worden. Es folgten Versuche zum Anbau von Tabak, Reis und vor allem Zucker mithilfe von importierten Sklaven sowie der Export von Tropenhölzern und Häuten. Gleiche Bestrebungen galten für Réunion, damals noch Île-Bourbon genannt, das ebenfalls unbewohnte Mauritius, der damaligen Île-de-France, und die erst 1756 annektierten Seychellen. 1666 wurde ein Vizekönig für Madagaskar ernannt; die dauerhafte Etablierung scheiterte jedoch vorerst.Auf dem indischen Subkontinent waren die Franzosen seit 1667 mit Stützpunkten vertreten. Um die eigenen Ansprüche gegenüber der englischen und holländischen Konkurrenz zu demonstrieren, sollte in einem groß angelegten Unternehmen ein »Gouverneur aller Besitzungen im Indischen Ozean« installiert werden. Das von Admiral Jacob Blanquet de la Haye befehligte »Persische Geschwader« mit 9Schiffen, 1470 Soldaten und 248 Kanonen scheiterte indessen kläglich. Dennoch gelang es, einige dauerhafte Niederlassungen zu gründen, die bedeutendsten Pondicherry in Südostindien und Chandernagore in Bengalen. 1742 besaß Frankreich zwölf mehr oder weniger bedeutende Außenposten in Indien. Handelsprodukte waren Seiden- und Baumwollgewebe, Gewürze und der »indische Salpeter«, der den Pyrotechnikern von Versailles für ihre berühmten Feuerwerke diente. Die Ostindische Kompanie erlebte ein ständiges wirtschaftliches Auf und Ab, schon weil die französischen Handelskreise nur wenig Interesse an Indien zeigten. Dass sie bis zu ihrer Auflösung 1763 überlebte, war nicht zuletzt dem Engagement tatkräftiger Männer vor Ort zu verdanken, so dem Generalgouverneur Joseph-François Dupleix, der während seiner Amtszeit zwischen 1742 und 1754 Frankreichs Einfluss in Indien auszudehnen suchte, aber aufgrund fehlender Unterstützung durch die französische Regierung nur Teilerfolge zu erzielen vermochte.Der Westindischen Kompanie fiel das Monopol des Handels mit Kanada, Akadien, den Antillen und Westafrika zu. Zentrale Anlaufgebiete französischer Handelsfahrer in Westafrika waren die Senegalmündung und der Golf von Guinea. Auf der südlich von Dakar gelegenen Insel Gorée und in Saint-Louis, einem Hafen im heutigen Nordsenegal, wurden seit dem 2. Drittel des 17. Jahrhunderts Gold, Elfenbein und Palmkerne gehandelt. Beide Niederlassungen gehörten überdies zu den Umschlagplätzen für den transatlantischen Sklavenhandel. 1701 schloss die neu gegründete Guineakompanie mit den Spaniern einen Vertrag über den Transport von Sklaven, womit die »Versorgung« der karibischen Plantagen gesichert war.Schmuggel und Piraterie hatten zunächst das Leben in der karibischen Inselwelt bestimmt, wobei sich die französischen Freibeuter ebenso engagiert an den Überfällen auf spanische Siedlungen sowie Gold- und Silberflotten beteiligten, wie sie sich den disziplinierenden Entwicklungen Europas zu entziehen suchten. Die ersten kolonialen Erwerbungen Frankreichs resultierten aus den expansionistischen Bestrebungen in der Zeit Richelieus: Hispaniola, damals Saint-Domingue, Saint Christopher, Martinique und Guadeloupe sowie die kleineren Inseln Dominica, Saint Lucia und Tobago, dazu Französisch-Guayana an der Nordostküste Südamerikas, das vor allem durch die hohe Sterblichkeit bei den verschiedenen Siedlungsversuchen von sich reden machte und seit 1851 als Sträflingskolonie diente. Insgesamt handelte es sich schließlich um 14 Inseln, von denen die Franzosen allerdings einige mit Holländern, Engländern und Spaniern teilten, andere schon bald wieder aufgeben mussten.Lebten 1681 insgesamt 47000 Einwohner in der französischen Karibik, davon 18000 Weiße, so hatte sich bis 1756 die Zahl der Europäer auf 40000 erhöht, die der Sklaven allerdings auf 300000. Letztere hatten inzwischen auch die anfangs überwiegenden »weißen Sklaven«, Plantagenarbeiter aus Europa, die sich für einen bestimmten Zeitraum verpflichteten (engagés), weitgehend ersetzt. Beschäftigt wurden die Sklaven, die trotz des 1685 erlassenen, relativ humanen Gesetzes zur Behandlung von Sklaven, des Code Noir, nahezu völlig rechtlos waren, auf Zucker-, Tabak-, Kakao-, Kaffee- und Baumwollplantagen, wobei die höchst lukrativen Gewinne der weitgehend privaten Besitzer zu 80 Prozent auf dem Zucker beruhten. Die französischen Besitzungen in der Karibik waren damals die reichsten Kolonien der Welt. Von den zahlreichen Sklavenaufständen führte allein der Ausbruch von Unruhen auf Saint-Domingue zur Gründung eines selbstständigen Staates (Haiti, 1804).IrokesenkriegeAn der Spitze des französischen Kolonialinteresses stand zunächst indessen weiterhin Neufrankreich. Die Jahre nach 1663 waren daher durch die Versuche der französischen Krone bestimmt, die nordamerikanische Kolonie in das merkantilistische Wirtschaftssystem des hochabsolutistischen Staates zu integrieren. Voraussetzung dafür waren zum einen beruhigte Verhältnisse in der Kolonie, zum anderen ihre Besiedlung. Hinsichtlich der Befriedung galt es vor allem, den Dauerkonflikt mit den Irokesen zu beenden. Die Iroquois — die französische Form eines Wortes aus der Algonkinsprache, das »wahre Natter« bedeutet — lebten südlich des Ontariosees und im oberen Gebiet des Hudson River. Möglicherweise schon im 15. Jahrhundert hatten sie sich zur Vermeidung von Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen zu einer Konföderation zusammengeschlossen. Diese »Irokesenliga« bestand aus fünf, später sechs miteinander verwandter Nationen, den Mohawk, Oneida, Cayuga, Onondaga, Seneca, Tuscarora. Der erstrebte Zugang zu den nördlichen Pelztierregionen, wohl aber auch traditionelle Kampfmotive und Adoptionspolitik, das heißt Politik der Integration Gefangener in den eigenen Stamm, führten sie in Konflikt mit den dort lebenden Ethnien. Mehr oder weniger hilflos mussten die Franzosen mit ansehen, wie die Irokesen ihre indianischen Verbündeten nacheinander vernichteten. Diese Erfahrungen und die eigenen Auseinandersetzungen mit ihnen haben auch zu dem eindeutig negativen Irokesenbild der Franzosen, im Gegensatz zu dem der Engländer und Amerikaner, geführt.Nachdem die Krone 1665 das Regiment Carignan-Salières mit über 1100 Offizieren und Soldaten nach Neufrankreich verlegt hatte, sicherten die Übereinkommen mit den Irokesen zwischen 1665 und 1667, die die »Fünf Nationen« nicht als Untertanen, sondern als Vertragspartner akzeptierten, zumindest bis in die 1680er-Jahre eine relativ friedliche Periode. 1701 kam es in Montreal zu einem großen Friedensschluss zwischen den Irokesen und den Franzosen sowie ihren indianischen Verbündeten. Die verschiedenen Kriegszüge gegen die Irokesen und wiederholten Friedensschlüsse begrenzten bis zu einem gewissen Grad die Gefahr von Angriffen der Irokesen auf französische Niederlassungen, führten jedoch keineswegs zu deren völliger Unterwerfung. Zumindest für die Dauer des englisch-französischen Gegensatzes in Nordamerika wussten die Irokesen durch eine geschickte Diplomatie ihre Unabhängigkeit zu wahren.Die königliche ProvinzNeufrankreich stand und fiel mit seinem Bevölkerungszuwachs. Nach 1663 ergriffen Colbert und der für Kanada neu ernannte Intendant, Jean Talon, daher eine Reihe von Maßnahmen, um die zu einer königlichen Provinz erhobene Kolonie gegenüber den englischen Kolonien, die wesentlich höhere Einwandererquoten aufzuweisen hatten, aufzuwerten. Eine erste Aktion war, dass Teile des Regiments Carignan-Salières, das gegen die Irokesen gekämpft hatte, nach Art der römischen »Militäransiedler« in der Neuen Welt verblieben. In Frankreich begann die Suche nach Frauen, Töchtern des Königs (filles du roi), die bereit waren, nach Amerika zu gehen. So sind zwischen 1665 und 1669 insgesamt 661 Frauen aus dem Pariser Generalhospiz nach Neufrankreich gebracht worden, wo regelrechte Heiratsmärkte für sie organisiert wurden. Auch mithilfe von Zeitverpflichteten und Strafgefangenen suchte man die Auswanderung zu fördern. Vor Ort erhielten Verheiratete verschiedene Vergünstigungen, während Junggesellen mit Strafen belegt wurden. Besonders kinderreichen Familien wurden Prämien gewährt. All diese Bemühungen waren jedoch nicht von besonderem Erfolg gekrönt, und selbst das offizielle Programm der Mischehe mit Indianerinnen funktionierte nicht. 1685 war die Zahl der Einwanderer auf gerade 12373 angewachsen, davon 5629 Frauen, mithin 45,5 Prozent. Etwa ein Drittel der französischen Bevölkerung lebte in den Städten Quebec, Montreal und Trois-Rivières.Auch das Seigneurialsystem, eine der Grundlagen der kanadischen Gesellschaft, konnte dem Mangel der Kolonie an Siedlern nicht abhelfen. Es handelte sich um eine durch den königlichen Absolutismus abgeschwächte Form des französischen Feudalismus, die der Aristokratie, aber auch dem gehobenen Bürgertum, einen Anreiz zur Kolonisation liefern sollte. Für die Überlassung von Land in der Neuen Welt musste der seigneur dem König »ohne Degen, mit bloßem Haupt und gebeugtem Knie« die Treue schwören und sich gleichzeitig verpflichten, das kostenlos erhaltene, umfangreiche Areal mit — abgabepflichtigen — Siedlern (habitants) zu bevölkern. Allerdings bestand nur ein Bruchteil des Landes aus solchen feudalen Seigneurien, von denen wiederum weniger als ein Prozent an Siedler vergeben, also tatsächlich genutzt wurden.Im Ganzen war der merkantilistisch-administrativen Politik des französischen Kolonialstaates nur ein bescheidener Erfolg vergönnt. Weder gelang es, die Indianer auf Dauer zu kontrollieren oder gar zu »französisieren« — 1714 gab es etwa 1500 sesshafte Indianer —, noch eine nennenswerte »weiße« Bevölkerung zu etablieren. Als besonders schwierig erwies es sich, die ungebundenen »Waldläufer« (coureurs de bois) zu integrieren. Auf der anderen Seite haben gerade sie die weiten Räume des amerikanischen Westens und Südens erschlossen und Handelskontakte hergestellt.Der französische Kolonialstaat suchte freilich nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen neue Handelsverbindungen mit den westlichen Indianerstämmen, sondern auch aus politisch-strategischen Überlegungen. Um England und Spanien in der Besitzergreifung der Gebiete zuvorzukommen, sorgten Talon und seine Nachfolger für die Einrichtung von Handelsstationen und Forts im Westen und die Einbindung der dort lebenden Indianer in eine den französischen Interessen dienende Allianz. Forscher, Händler und Missionare wurden als Agenten in dieses Programm eingespannt. Die Verbindung zwischen dem Waldläufer Louis Joliet und dem Jesuiten Jacques Marquette, die 1673 zusammen den Mississippi erforschten und bis zur Mündung des Arkansas River hinunterfuhren, symbolisiert am besten jenes Bündnis von Waldläufern und Missionaren, das konstitutiv für den französischen Expansionismus im Norden Amerikas gewesen ist. Das Aufsehen erregendste Unternehmen gelang dem ehemaligen Jesuiten René Robert Cavelier de la Salle, einer der schillerndsten Figuren unter den großen Entdeckern Nordamerikas. La Salle, dessen religiöser Fanatismus ihn zu immer neuen Taten trieb, fuhr den Mississippi bis zu seiner Mündung hinab und nahm 1682 den Strom mit allen Zuflüssen und angrenzenden Ländern für Frankreich in Besitz. Zu Ehren Ludwigs XIV. nannte er das Land Louisiane (heute Louisiana).Um 1700 war ein weites Netz von Militärposten sowie Missions- und Handelsstationen entstanden, das sich über die Region der Großen Seen und des Mississippitales bis nach Louisiana ausbreitete und auch das Ohiotal und den tieferen Westen und Norden berührte. Auf diesem Netzwerk von Militär-, Missions- und Handelsstationen basierte der immer noch lukrative Pelzhandel, der Hauptwirtschaftsfaktor Neufrankreichs.Das Ende NeufrankreichsDas erste französische Kolonialreich ist im Wesentlichen amerikanisch gewesen. Zwar existierten eine Reihe von Handelsstützpunkten in Afrika und Indien, aber der Schwerpunkt kolonialer Aktivitäten und Ambitionen lag eindeutig in Nordamerika und in der Karibik. Dabei war der Gegensatz zu den Engländern von Anfang an für das erste französische Kolonialimperium bestimmend; beanspruchten doch Franzosen und Briten bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts für sich dieselben Gebiete in Nordamerika wie zum Beispiel Neufundland und Akadien, das etwa die heutigen kanadischen Provinzen Nova Scotia und New Brunswick sowie Teile Quebecs und des US-amerikanischen Staates Maine umfasste. Ihren Ursprung hatten die Kolonialkriege des 17. und 18. Jahrhunderts aber zumeist in europäischen Konflikten.So begann der in Europa geführte Krieg der Augsburger Allianz gegen Frankreich in Nordamerika als Indianerkrieg, als nämlich Irokesen Fort Saint-Louis im heutigen Illinois und eine französische Niederlassung bei Montreal überfielen und fast alle Siedler töteten. Dieser von 1689 bis 1697 dauernde Krieg (King William's War) führte indessen nur zu einer gegenseitigen Anerkennung der bestehenden Verhältnisse. Dagegen brachte der Queen Anne's War von 1701 bis 1713/14, in Europa bekannt als Spanischer Erbfolgekrieg, den Franzosen die ersten größeren Verluste. Im Frieden von Utrecht 1713 gingen Neufundland, Teile von Akadien und die Außenposten an der Hudsonbai an die Engländer verloren. Zudem mussten die Franzosen die Oberhoheit der Briten über die »Fünf Nationen« anerkennen, obgleich auch in Zukunft Teile der Irokesen den Franzosen zuneigten. Im parallel zum Österreichischen Erbfolgekrieg verlaufenden King George's War von 1744 bis 1748 gelang es den Franzosen, einige Verluste im Nordosten wettzumachen. Der in Amerika als French and Indian War zwischen 1754 und 1763 geführte Siebenjährige Krieg brachte jedoch im Frieden von Paris 1763 den definitiven Verlust Kanadas — bis auf die Inseln Saint-Pierre und Miquelon vor Neufundland. Die Gebiete westlich des Mississippi, einschließlich Louisiana, musste Frankreich an Spanien abtreten, das Florida an die Engländer verloren hatte. In der Karibik konnten die Franzosen ihre Position halten, wohingegen in Indien nach der Niederlage gegen die Engländer bei Plassey 1757 nur Pondicherry, Chandernagore und drei weitere Niederlassungen als offene Handelsplätze erhalten blieben. 1803 verkaufte Napoléon Bonaparte, ab 1804 Kaiser Napoleon I., endgültig das kurz zuvor von Spanien an Frankreich zurückgegebene Louisiana für 60 Millionen Francs an die Vereinigten Staaten. Aufgrund seiner Bindung an die katholische Konfession und die französische Sprache überlebte allerdings das Frankokanadiertum die Umwandlung Neufrankreichs in eine englische Kolonie.Prof. Dr. Horst Gründer, MünsterWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:britisch-französisches Ringen um die Vorherrschaft in der Welt (1700 bis 1815): Eine Insel auf dem Weg zur WeltmachtIndianer Nordamerikas (16. bis 18. Jahrhundert): Kinder ManitusChamplain, Samuel de: Voyages of Samuel de Champlain, 1604-1618. Herausgegeben von William Lawson Grant. New York 1907.Histoire de la France coloniale, Band 1: Des origines 1914, bearbeitet von Jean Meyer u. a. Paris 1991.Julien, Charles-André: Les Français en Amérique au XVIIe sicle. Paris 1976.Sautter, Udo: Geschichte Kanadas. Von der europäischen Entdeckung bis zur Gegenwart. Neuausgabe München 1992.Trudel, Marcel: The beginnings of New France, 1524-1663. Aus dem Französischen. Toronto 1973.
Universal-Lexikon. 2012.